Sonntag, 2. Februar 2014

Die zwei Gesichter von Yangon

Nachdem wir uns in Bangkok "zurück in die Zukunft" katalputiert fühlten, ging es wieder in ein Land aus der Vergangenheit: Burma/Myanmar. Nach jahrelanger politischer und wirtschaftlicher Isolation erwarteten wir ein Land ohne Internet, ohne Coca Cola, ohne kritische Fernsehsender. Ein armes Land ohne funktionierende Infrastruktur.

Umso erstaunter waren über unsere ersten Erfahrungen. Der Flughafen modern, im Hotel in Yangon gab es WLAN, im Fernsehen lief auf Kanal 1 BBC. Auch die Straßen sind gar nicht so schlecht und neben kleinen Hütten gibt es durchaus viele moderne Gebäude. Dass das Land der Moderne noch hinterher läuft merkt man vor allem an kleinen Dingen. Neben vielen Leuten mit gigantischen Samsung-Handys sieht man immer noch Straßenstände mit Festnetztelefonen, die für uns praktisch sind, da man als Ausländer keine SIM-Karten kaufen kann. Fahrradrikschas gehören neben SUVs (von NGO-Mitarbeitern?) zum Straßenbild und man sieht mehr Longhis - lange Röcke von Männern und Frauen getragen - als Jeans.

Das Sightseeing Highlight in Yangon ist ganz klar die beeindruckende Shwedagon-Pagode, der bestimmt goldenste Ort der Welt, mit einer tollen Stimmung - entspannt, andächtig und trotzdem fast ausgelassen fröhlich. Für uns etwas befremdlich sind die Stände an denen man Fotos von sich vor der Pagode kaufen kann, die vielen Spendentrommeln und die ca. 9 ATMs auf dem Pagodengelände, siehe Foto. Wie vermutlich in jeder Pagode in Myanmar stehen um die kegelförmige Stupa acht Buddahs, für jeden Wochentag einer und für Mittwoch (nicht Sonntag:) gibt es zwei. Die buddistischen Pilger beten vor der Statue mit dem Wochentag an dem sie geboren wurden und gießen Wasser über die Statue.

Betende vor einer Buddahfigur eines bestimmten Wochentags

ATMs in einem Gebäude in der Pagode

Mönch der eine Gruppe junger Burmesen vor der Stupa fotografiert

Insgesamt sind Burmesen wahnsinnig freundlich. Es wird soviel gelächelt, gegrüßt und einfach nett miteinander umgegangen, wie wir es bisher selten erlebt haben (dazu kommt noch ein einzelner Post). In starken Kontrast zu dieser Freundlichkeit stehen die Verfolgung von Minderheiten an den Grenzgebieten des Landes und der grausame Umgang mit politischen Aktivisten durch die Militaerdiktatur.

Von einem Spiegelartikel, den wir einen Tag vor dem Flug nach Myanmar gelesen hatten, inspiriert, kontaktierten wir Shell, einen ehemaligen politischen Gefangenen. Shell verbrachte seit seinem 17. Lebensjahr die meiste Zeit seines Lebens als politischer Häftling in verschiedenen Gefängnissen. 1988 hat er auf Grund von Hunger und Armut bei Studentenprotesten gegen die Militärdiktatur demonstriert und wurde verhaftet, misshandelt und jahrelang weggesperrt. Trotz mehrerer weiterer Inhaftierungen hat er während der gescheiterten Saffran-Revolution von 2007 gefilmt und Aufnahmen an einen Exil-Fernsehsender weiter gegeben. Er wurde wieder verhaftet und erst bei der letzten großen Amnestie 2012 endgültig (?) freigelassen.

Shell ist ein sehr freundlicher Mann. Was uns wirklich beeindruckt hat, ist, dass er keineswegs verbittert aussieht oder erzählt. Natürlich ist er keine Frohnatur, das ist nach allem was er durchgemacht hat unmöglich. Er wirkte anfangs etwas nervös, weil seine Frau, die normalerweise für ihn übersetzt, nicht da war und er nur rudimentär Englisch spricht. Zwar konnten wir mit Hilfe von Körpereinsatz und mit vereinten Kräften verstehen was Shell uns erzählen wollte, unsere Fragen verstand er anfangs jedoch nicht. Nach und nach wussten wir aber welche Worte er verstand und so wurde unsere Kommunikation besser. Nachdem wir kurz mit seiner Frau telefoniert hatten zeigte uns Shell einige wichtige Stätten seines politischen Lebens. Wir ließen ihn mehr von sich aus erzählen und fragten nur ab und zu nach. Nach einiger Zeit fasste Shell Vertrauen und wurde entspannter. Er erzählte uns nicht nur von politischen Ereignissen sondern auch persönliche Erfahrungen.

Was uns wohl am meisten berührt hat war der Inya Lake. Der idyllische See liegt neben einer Universität, hat eine gepflegte Uferpromenade mit Bänken auf denen junge Pärchen verliebt den Tag genießen und mit netten kleinen Restaurants auf denen die Studenten auf Plastikstühlen sitzen und erzählen. Der See hatte eine friedliche Atmosphäre und wir dachten, Shell hätte uns hierher gebracht um am kühlen See der Mittagshitze zu entkommen um danach weiter zu fahren.
Mit Shell am Inya Lake


Wir fühlten uns also entspannt und genossen den Spaziergang bis uns Shell von seinen Assoziationen mit diesem See erzählte: 1988 starteten hier an der Universität die Protestmärsche. Als das Militär anfing die Proteste niederzuschlagen, setzten Soldaten die Studenten an diesem See fest. Sie pferchten die Studenten in zu kleine Wagen wo viele erstickten oder zerquetscht wurden. Andere liefen blind in den See - genau an der Stelle wo wir jetzt standen - um den Soldaten zu entkommen. Diese liefen hinterher und ertränkten die wehrlosen Demonstranten. Insgesamt hätten 1000 Studenten hier ihr Leben verloren. Jahrelang durfte man nicht über diese grausamen Morde sprechen. Shell kam oft am Jahrestag der Proteste an diesen See, um seiner toten Freunde zu gedenken. Er setzte sich in ein Café am Ufer, und wenn keiner guckte warf er eine Flasche, in der Blumen waren, in das Wasser, wo sie dann schwamm und von den Polizisten nicht so einfach weggeschafft werden konnte. Heute lässt das Regime die Gedenken auch offen zu - eines der stärksten Zeichen des Veränderung.
Heute einer der schönsten Stellen in der Stadt

Shell zeigte uns auch andere Sehenswürdigkeiten wie den liegenden Buddha. In dem angrenzenden Kloster leben einige der Mönche die sich in der Saffran-Revolution engagiert haben. Selbst die wunderschöne Shwedagon Pagode war mehr als einmal Austragungsort von politischen Protesten und Verhaftungen. Scheinbar jeder Ort in Yangon hat zwei Gesichter.

Wir wollten von Shell auch wissen wie gefährlich es für ihn sei über seine Vergangenheit und seine politische Gesinnung zu sprechen. Er meinte, das dies seit 2012 ginge und das er sowieso keine Angst mehr habe [nachdem was er schon alles überlebt hat]. Er muss wohl gemerkt haben, dass wir nicht ganz von der politischen Meinungsfreiheit überzeugt waren und wie als Antwort darauf brachte er uns zu dem Hauptsitz der Oppositionspartei, der NLD. Zu unserer Überraschung war dieses deutlich gekennzeichnet an einer Hauptstraße gelegen und hatte einen Souvenir-Shop. Wir konnten aussteigen und auch er stieg mit uns aus. Er wurde von allen Seiten begrüßt. Die politischen Gefangenen halten zusammen und viele engagieren sich nun für die NLD. Da Shell nicht sehr gut Englisch spricht, stellte er uns einen Freund vor von "der neuen Generation" wie er lachend sagt, denn er und die anderen 1988er seien ja inzwischen die Alten.

Das Haus von Aung San Suu Kyi mit Werbung für ihre Partei, die NLD


Nay Chi ist im Forscherteam der NLD. Er und seine 36 Teamkollegen, die im ganzen Land verstreut arbeiten und sich einmal im Monat treffen, recherchieren zu Gesetzesentwürfen und anderen Aktivitäten der Regierung und beraten die eigene Partei wie sie sich dazu positionieren soll. Als Barbara ihm sagte, dass sie Ökonomin sei und in Deutschland auch Politikberatung mache, war er ganz begeistert und wollte direkt, dass sie einen Vortrag an dem monatlichen Treffen gebe. Ehrlich gesagt hätte sie das auch nur zu gerne gemacht. Aber es stellte sich heraus, dass es auf Grund unseres kurzen Aufenthalts in Myanmar nicht klappt. Aber vielleicht schickt sie die Bundesbank ja nochmal hierher :)

Wir haben auf unseren Busfahrten bereits viele lokale Büros von der NLD und Plakate an Häusern gesehen, nicht nur in den Städten sondern auch in ländlicheren Gegenden. Die Menschen hier scheinen wirklich weniger Angst zu haben, ihre politische Gesinnung zu zeigen.

Am Abend tranken wir noch Tee mit Shell und seiner Frau, die Übersetzerin ist, in einem Teehaus in dem die beiden oft mit anderen Exgefangenen sitzen. Da die Sprachbarriere durch Shells Frau nun geringer war, fragte Thorben Shell wie er die Zukunft in seinem Land sieht und was er von dem Regimewechsel hält. Er schien nicht zufrieden. Zwar sei eine Öffnung da, aber jetzt konzentriere das Regime seine Kräfte darauf, die besten Stücke Land an sich zu reißen, und am Umbruch zu verdienen. Denjenigen, die immer auf der Seite der Guten standen geht es nach wie vor nicht gut. Außerdem war er von der Nachhaltigkeit des Wandels noch nicht überzeugt - erst die Wahlen in 2015 würden wirklich die Karten auf den Tisch legen.

Letztlich wollte Barbara noch von Shell wissen wie er all die Folter und Grausamkeit im Gefängnis ertragen hat ohne verrückt und verbittert zu werden. Er erklärte, dass er dazu keine Zeit gehabt habe. Er habe zwei Stunden am Tag meditiert, denn er ist von Herzen Buddist, er sei in der Zelle umhergegangen und habe alleine oder mit anderen Häftlingen Pläne gemacht wie man auf die Missstände in der Haft aufmerksam machen könnte und wie man rauskommen könnte.

Ein Faktor, der Shell half waren ausländische Organisationen die sich für die Häftlinge einsetzten. Ihre Anwesenheit in den Gefängnissen hat nicht nur die Haftbedingungen der politischen Gefangenen verbessert sondern ihnen auch Mut gemacht weil es ihnen zeigte, dass sie nicht vergessen werden. Shell erzählte uns von einem Mann vom Roten Kreuz, der mit ihm auf Burmesisch gesprochen hatte und der Post von seiner Familie mitgebracht und dafür gesorgt hatte, dass er Bücher und Schreibzeug bekam. Noch heute ist er diesem Mann dankbar.

Wir glauben, der größte Faktor war jedoch der Zusammenhalt zwischen den politischen Gefangenen. Der hat auch jetzt, nachdem viele frei sind nicht nachgelassen. Shell ist in einem Netzwerk aktiv, an das auch die Bezahlung für unsere Stadtführung geht. In diesem Netzwerk kämpfen sie für die Freilassung der letzten 30 der ehemals über 2000 politischen Gefangenen und helfen denen die aus der Haft kommen mit Mikrokrediten, sich eine Existenz aufzubauen. Darum unser Apell: Macht eine Stadtrundfahrt oder auch nur die Fahrt vom Flughafen in Yangon mit Golden Harp Taxi Network. Das Geld geht an einen guten Zweck, und neben dem Geld hilft jeder Kontakt zu Ausländern der Opposition im Land.

Uns ließ der Tag beeindruckt zurück. Ein solcher Mut und Wille, sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen bewundern wir beide sehr. Und zwar obwohl oder grade weil uns Shell gezeigt hat, dass selbst nach einer Änderung in der Politik wohl doch diejenigen oben bleiben, die sich am besten mit den jeweiligen Verhältnissen arrangieren.

Das Land sehen wir jetzt mit anderen - offeneren - Augen. Wir sind gespannt neben den freundlichen Menschen und den Sehenswürdigkeiten in den nächsten 2,5 Wochen auch die ermutigenden Zeichen des Wandels zu sehen und die Schatten der Vergangenheit.

Thorben und Barbara

1 Kommentar: